Schmerzen im unteren Rücken sind ein äußerst häufiges Problem in der heutigen Gesellschaft und die meisten Menschen müssen sich im Laufe ihres Lebens mindestens einmal mit diesem auseinandersetzen (1). Angaben des Robert Koch Instituts aus dem Jahre 2012 zufolge, liegt die Lebenszeitprävalenz zwischen 74% und 85% (2). Schmerzzustände können das Wohlbefinden, sowie die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich beeinflussen.
Doch woher kommen Rückenschmerzen? Bewegen wir uns zu wenig? Ist unser Rumpf zu schwach? Ist unser Beckenschiefstand dafür verantwortlich?
Viele Fragen und jeder Arzt, Trainer, Therapeut hat seine eigene Meinung zum Thema Rückenschmerz. Spricht man mit den Krankenkassen oder traut man dem Spiegel, kommen die Rückenschmerzen vom vielen Sitzen und der wenigen Bewegung. Redet man mit einem Physiotherapeuten oder einem Personal Trainer, ist die zu schwache Muskulatur daran schuld. Landet man mit Rückenschmerz beim Orthopäden ist die Diagnose oftmals ganz klar. Der Schmerz kommt von der schiefen Wirbelsäule, dem Hohlkreuz, dem Beckenschiefstand, ____________ (füllen Sie die Lücke).
Doch was ist, wenn wir Rückenschmerz einfach nur erlernen? Was ist, wenn wir uns den Rückenschmerz nur einreden? Das klingt erstmal sehr fremd und sicher unglaubwürdig. Doch gibt es einige interessante Untersuchungen zum Thema Schmerz und dem sog. Nocebo-Effekt. Den Placebo-Effekt kennen viele – die positive Erwartung auf bspw. ein Medikament bessert die Symptome. Später stellt sich heraus es war kein Medikament, sondern eine Zuckerpille. Weniger Menschen kennen den bösen Zwilling des Placebo-Effekts – den Nocebo-Effekt. Negative psychische Erwartungshaltungen können physische Prozesse in unserem Körper hervorrufen. Das gilt auch für Rückenschmerzen.
Unser Schmerzempfinden ist äußerst subjektiv und unser Gehirn „entscheidet“ schlussendlich ob wir Schmerzen bekommen und wie stark diese für uns ausfallen. Ein tolles Beispiel hierfür sind Phantomschmerzen. Es gibt Menschen, denen ein Bein amputiert wird und die noch Jahre danach Schmerzen im nicht mehr vorhandenen Bein spüren (3). In einer amüsanten Studie mit einer VR-Brille (eine Brille, die einen über Bildschirme eine andere virtuelle Realität vorgaukelt) wird Menschen ihr eigener Arm in drei verschiedenen Varianten gezeigt. Einmal komplett unbedeckt, einmal mit einem Pullover und einmal mit einer Ritterrüstung. Egal wie die Patienten ihren Arm über die Brille sahen, es wurde immer der gleiche elektrische Schmerzreiz über eine Elektrode an den Arm gebracht. Während des Experiments wurde zum einen die Sensibilität des Arms gemessen und zum anderen wurden die Probanden nach der Intensität des Schmerzes befragt. Obwohl der Schmerz und die Sensibilität der Haut theoretisch überall hätte gleich sein müssen, hatten die Probanden, wenn sie die Rüstung sahen, weniger Schmerzen und auch die Haut war nicht mehr so sensibel (4). Ein Ritter kennt keinen Schmerz. Wie stark der Schmerz ist, ist also sehr stark von unserer subjektiven Erwartungshaltung abhängig.
Doch können wir uns auch Schmerzen einreden, wenn es eigentlich keinen Grund dazu gibt? Auch hier gibt es tolle Experimente aus der Welt des Nocebo-Effekts. In einer Studie von Pfingsten und Kollegen aus dem Jahre 2009 wurden Probanden an ein Trainingsgerät für die Beine gesetzt. Einer Gruppe wurde gesagt, dass nach dem Training an diesem Gerät evtl. Rückenschmerzen auftreten können. Der anderen Gruppe wurde nichts dergleichen gesagt. Tatsächlich bekamen einige der ersten Gruppe Rückenschmerzen, obwohl der Rücken bei der Bewegung in keiner Weise beansprucht wurde. Die andere Gruppe blieb von Schmerzen verschont. Der eine kleine Hinweis der Untersuchungsleiter reichte aus, um bei den Versuchspersonen Schmerzen auszulösen. Wir sehen mal wieder wie fest unser Körper und unser Gehirn zusammenarbeiten.
Es lassen sich zu dieser Thematik hunderte Beispiele finden. Ich will mit diesem Artikel nicht darauf hinaus, dass wir uns alle Schmerzen nur einreden, oder gar das Rückenschmerz nicht , wegen oben genannten Gründen, zustande kommen kann. Es stellt sich nur die Frage was mit uns Menschen passiert, wenn wir ständig hören „dass wir mit diesem krummen Rücken“ ja ganz sicher Schmerzen bekommen müssen. Tatsächlich gibt es nicht den „perfekten“ Rücken. Eigentlich hat jeder Mensch irgendwo eine Schiefstellung, ein Hohlkreuz oder ein Bein was 1 cm länger ist als das andere. Viele haben aber trotz den „fatalen“ Fehlstellungen keine Schmerzen.
Was passiert mit unserer Erwartungshaltung, wenn wir überall lesen „Sitzen ist das neue Rauchen“? „Wer seinen Rumpf nicht trainiert bekommt Rückenschmerzen“! Werden wir damit nicht unwissentlich dazu gebracht Schmerzen zu empfinden?
Fun Fact: In Südasien gibt es eine Krankheit namens „Koro“. Koro ist eine kulturspezifische Angststörung. Betroffene Männer leiden unter der Angst ihr Penis könne sich in ihren Bauch zurückziehen. Man „erkrankt“ an Koro bspw., wenn einem eine Schildkröte über den Weg läuft und ihren Kopf einzieht. Hört sich unglaublich an? Es gab regelrechte Koro Epidemien in Südostasien. Es traten Symptome wie Herzrasen, Panik und Schwindel auf (5).
Was können wir von diesem Artikel mitnehmen? Ja es könnte sein, dass Rückenschmerzen von einer schiefen Wirbelsäule kommen, vielleicht kommen sie auch von einem schwachen Rumpf, oder von ___________________. Vielleicht meinen wir aber jedoch oftmals bloß Rückenschmerzen „haben zu müssen“. Wichtig ist sich nichts von der Gesellschaft, den Medien oder Ärzten einreden zu lassen. Auch Panik ist bei Schmerz nicht das beste Mittel. Abschließen möchte ich mit den treffenden Worten von Eckart von Hirschhausen: „Solange du atmest, ist mehr an dir gesund als krank. Weiteratmen ist immer gut!“
Literatur
1 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21665125
2 Robert Koch-Institut (Hrsg.) (2012). Daten und Fakten: Ergebnisse der Studie »Gesundheit in Deutschland aktuell 2009«. Beiträge zur Gesundheitsberichter- stattung des Bundes. RKI, Berlin
3 http://flexikon.doccheck.com/de/Phantomschmerz
4 https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28758311
5 http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/koro/6720
Source: Warum ein Ritter keinen Schmerz kennt – reden wir uns Rückenschmerzen nur ein?
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